Menü
Überblick
49 / 99

 

Jürgen Schabel – Fotografie

Samstag, 13. März 2021, 14.00 – 19.00 Uhr – Eröffnungstag
Ausstellung: 13. März bis 10. April 2021 (zu unseren Öffnungszeiten)

 

»MONO NO AWARE«

Absolute Stille – kein Mensch weit und breit, Schichten von Staub lagern auf Boden, Billiardtisch und Weltkugel. Türen, Tapeten, Teppiche und Mobiliar, alles ist dem unaufhaltsamen Verfallsprozess preisgegeben. Natur, Farne, Unkraut und Moos erobern sich Raum für Raum.

Im Zentrum des künstlerischen Werks von Jürgen Schabel stehen immer wieder Orte und Bauten, die eine einzigartige Geschichte in sich tragen – Architektur, die Spuren von Verfall und Zerstörung aufweist und die durch die Abwesenheit von Menschen geprägt sind.
Warum wurden all die Gebäude, die Städte aufgegeben und verlassen? Die Ursache kann eine atomare Katastrophe wie 2011 in Fukushima sein, die sich im März zum 10. Mal jährt oder auch die Änderung einer Situation, verbunden mit dem Verlust der ursprünglichen Funktion und dem Versinken in Bedeutungslosigkeit. Welche Geheimnisse, welche Geschichten, welche Emotionen und Erinnerungen liegen darunter verborgen? Was bleibt von all den von und für Menschen geschaffenen Dingen, den Statuen, den Häusern, Hotels, Straßenzügen und Städten? Wie wird mit solchen Verlassenschaften umgegangen? Lassen sich Erkenntnisse für die Zukunft daraus ableiten?

Die Atmosphäre, die Schabels Bildmotive ausstrahlen, ist voller Poesie und Melancholie. Sie zieht einen in den Bann, fühlt sich gleichermaßen traurigschön, absurd und unwirklich an. Versetzt in eine Zeitreise an die Schnittstellen zwischen Vergänglichkeit, Gegenwart und Zukunft, tauchen wir ein in Zeit und Raum.

Der Ausstellungstitel „Mono no aware“ ist ein Begriff aus der Literatur der Heian-Zeit und wurde im 18. Jahrhundert von dem japanischen Gelehrten Motoori Norinaga als Teil seiner Lehre bekannt. Der Begriff ist äußerst vielschichtig und für westliche Menschen nicht leicht zu verstehen. Norinaga sah darin das Wesen der japanischen Kultur: das Bewusstsein der Flüchtigkeit des Lebens und die Fähigkeit, dessen fragile Schönheit zu erkennen, wertzuschätzen, zu zelebrieren und alles achtsamer, intensiver wahrzunehmen.
Die Ausstellung im Kunstverein Kohlenhof ist eine Einladung, der besonderen Poesie dieser Orte nachzuspüren, in ihre Geschichte einzutauchen und die Fragilität des Lebens und der menschlichen Existenz aus einer neuen Perspektive zu betrachten.

Nachdem Schabels Arbeiten im letzten Jahr auf internationalen Fotofestivals mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden, widmet ihm der Kunstverein Kohlenhof eine Einzelausstellung. Bei seiner letzten Japanreise fotografierte Schabel in einer der 2011 evakuierten Städte der Präfektur Fukushima. Am 11. März 2021 jährt sich der Jahrestag des Atomunfalls von Fukushima zum 10. Mal.

Der vordere Ausstellungsraum ist daher den großformatigen Motiven der Stadt Namie vorbehalten. Im März 2011 waren auch deren Bewohner auf Grund von Tsunami und der darauffolgenden atomaren Unfälle in Fukushima gezwungen plötzlich ihre Heimat zu verlassen. Die Fotoarbeiten Jahre später entstanden sind somit auch einzigartige Zeitzeugnisse. Im rückwärtigen großen Galerieraum werden Fotografien aus der Werk-Serie „Hachijo Royal Hotel“ installiert. Das ehemals größte Hotel der Insel mit seiner Kombination aus opulenten, französischen Barockelementen und traditionellen japanischen Gäste-Zimmern musste 2006 geschlossen werden, nachdem japanische Touristen leichter Urlaub in Übersee machen konnten und dies dann bevorzugten. Insel und Hotel verloren ihre frühere touristische Anziehungskraft und mussten aufgegeben werden.

Mit virtuoser Leichtigkeit gelingt es Jürgen Schabel, uns Betrachtern Raum für eigene Gedanken und Interpretationen zu lassen. Seine Arbeiten eröffnen einen Blick, der über die Geschichte des spezifischen Ortes hinausgeht und existenzielle Fragen der Menschheit berührt. In diesem Sinn sind Schabels Bildwerke so zeitlos wie brandaktuell.

Eva Schickler

 

 

 

 

 

 

atelier-galeriehaus.de/das-haus/ateliers/juergen-schabel.html

 

Fotografie als Poesie

Sich in Bilder auszudrücken, ist die dem Menschen vorbehaltene Sprache. Fotografien halten nicht nur Inhalte fest und spiegeln die Realität, sondern fangen auch Unsichtbares ein und beseelen das Sichtbare. Meine Arbeit interpretiert die Gegenstandswelt als Ausschnitt einer Art innerer Erzählung, meiner Geschichte und Identität.

Letztlich sind Fotografien immer Abbilder von Erfahrung und dem persönlichen Erleben der Dinge. Es ist die ständige Suche nach dem Unbekannten, das im allseits Vertrauten oder dem Unerwarteten, das aus dem Offensichtlichen hervortritt. Das Bemühen, mehr festzuhalten und zu besitzen, als die Welt uns offenbaren möchte – nicht als Beweis für das, was wir kennen, sondern dafür, was wir vermissen, geträumt und wieder vergessen oder aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu haben glauben…

Für mich ist ein gutes Bild wie ein nicht zu Ende formuliertes Geheimnis, in dem sich die Ereignisse der Gegenwart mit denen der Vergangenheit verknüpfen und eine neue Geschichte erzählen. Es ist diese von Objektivem wie Subjektivem gleichermaßen durchtränkte Ebene der Poesie, die ich in meinen Bildern immer wieder suche.

Jürgen Schabel